Das Märchen von der Kreuzbeere

Es war einmal eine Kreuzbeere, die war schrumpliger als die Beeren um sie herum.
Wenn Beerensammler an ihrem Strauch vorbeikamen, pflückten sie lieber andere Beeren,
die prall in der Sonne glänzten und einen frischeren Eindruck machten.

So zogen die Tage und Wochen vorbei, und die kleine Beere hing immer noch am Strauch.
Sie war die letzte ihrer Zeit und sie könnte viele Geschichten darüber erzählen,
was für Gestalten ihre zahlreichen Geschwister erwählt hatten. Jedoch:

Sie war eine Beere, und Beeren können nicht sehen.
Sie war eine Beere, und Beeren haben keine Stimme.
Sie war eine Beere, und Beeren haben keine Sprache.

Die Beere fiel. Sie kullerte über den Boden und spürte eine Mulde, in der sie zu träumen begann.

Sie träumte, sie hätte Beine, und kletterte auf einen Baum.
Sie träumte, sie hätte Hände, und wob ein komplexes Gespinst aus Tau.
Sie träumte, sie hätte Augen, und betrachtete die ganze Welt.

In ihr begann es zu kribbeln und zu krabbeln.
Die Körnchen in ihrem Inneren platzten auf und aus ihnen krabbelten kleine Spinnen.

Der Beerenleib bot den jungen Spinnen alles, was sie in den ersten Tagen ihres Lebens
brauchten. Es interessierte sie nicht, dass diese Beere früher nicht so schön ausgesehen
hatte, wie ihre Artgenossen.

Sie aßen sich satt und krabbelten fort, auf den Spuren ihrer Geschwister.
Die waren derweil an fernen Orten geschlüpft und taten sich ebenso gütlich
an dem, was sie dort fanden.

Die Moral von der Geschicht?
Pflücke diese Beeren nicht!